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  • Jan Stutz, Dr. sc. ETH

Bewegung und Rückenschmerzen

Wie wirksam ist Bewegung bei der Prävention und Therapie von Rückenschmerzen? Und welche Trainingsmethode ist die effektivste?



Vorwort


Rückenschmerzen betreffen im Laufe des Lebens fast jede Person. Zur Linderung der Symptome werden verschiedene konservative Behandlungsmethoden empfohlen, inklusive Sport. Doch wie wirksam ist Bewegung und welche Trainingsmethode ist die effektivste? Wie schneidet körperliche Aktivität im Vergleich zu anderen konservativen Methoden ab?


Dieser Themenartikel behandelt wissenschaftlich fundiert diese und weitere Fragen. Der erste Teil befasst sich mit Hintergrundinformationen. Anschliessend wird die wissenschaftliche Evidenz für Bewegung als Prävention und Therapie von Rückenschmerzen zusammengefasst. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie man mit körperlicher Aktivität die Schmerzen effektiv lindern kann. Das Bewegungsrezept am Ende bietet einen Anhaltspunkt für alle, die mit Bewegung ihre Schmerzsymptome bessern wollen.


Dieser Text dient also als Überblick über die wissenschaftliche Literatur zu Bewegung und Rückenschmerzen und ist kein Ersatz für eine qualifizierte medizinische Beratung. Von Selbstdiagnosen und -therapien wird in jedem Fall abgeraten.


Inhalt


 

1. HINTERGRUNDINFORMATIONEN


Definition


Wenn in diesem Artikel von Rückenschmerzen die Rede ist, werden Schmerzen, Muskelverspannungen oder Steifheit im unteren Rückenbereich (unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der unteren Gesässfurche) gemeint (siehe Abbildung 1) [1]. Häufig verwendete Begriffe hierfür sind Kreuzschmerzen, Lumbalgie, oder low back pain.

Abbildung 1. Adaptiert aus Servier Medical Art (https://smart.servier.com/) und lizenziert unter einer Creative Commons Attribution 3.0 unported-Lizenz.



Bei 70–80 % der Betroffenen ist eine eindeutige Diagnose auch nach gründlicher und genauer Untersuchung nicht möglich [2]. In diesen Fällen spricht man von nicht-spezifischen Rückenschmerzen. Bei spezifischen Rückenschmerzen treten hingegen die Symptome als Folge einer erkennbaren und spezifischen Pathologie auf (z. B. eine Entzündung eines oder mehrerer Wirbelkörper oder eine Knochenfraktur) [3, 4].


Von akuten Schmerzen spricht man, wenn die Symptome seit weniger als 6 Wochen andauern [5]. Die meisten dieser Patientinnen und Patienten haben eine günstige Prognose: 75–90 % von neuen Rückenschmerzepisoden klingen innerhalb weniger Wochen ab [6, 7]. Wenn die Beschwerden länger als 12 Wochen anhalten, ist von chronischen Schmerzen die Rede [5].


Wenn nicht weiter definiert, ist in diesem Artikel von den nicht-spezifischen, chronischen Rückenschmerzen die Rede. Die akuten Schmerzen werden kurz in Abschnitt 3 behandelt. Spezifische Rückenschmerzen werden hier nicht weiter erwähnt, da in diesen Fällen die grundlegende Erkrankung zuerst behandelt werden sollte.


Wie viele sind betroffen?


Rückenschmerzen stellen ein sehr häufiges Gesundheitsproblem dar. In der schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2017 gab ungefähr die Hälfte der Befragten an, innerhalb der letzten vier Wochen unter Kreuz-/Rückenschmerzen gelitten zu haben (Abbildung 2). In Industriestaaten beträgt die Wahrscheinlichkeit, mindestens einmal im Laufe des Lebens von Rückenschmerzen betroffen zu sein, ca. 75–85 % [8-13].


Abbildung 2. Häufigkeit von Kreuz-/Rückenschmerzen innerhalb der letzten vier Wochen. Quelle: schweizerische Gesundheitsbefragung 2017 [14].



Konsequenzen


Rückenschmerzen für sich allein sind zwar nicht lebensbedrohlich, bedrohen aber die Lebensqualität [15]. Seit mindestens drei Jahrzehnten sind sie die weltweit häufigste Ursache für Einschränkungen im Alltag oder bei der Arbeit und führen zu enormen Gesundheitskosten und Produktivitätsverlusten [16]. Der Grossteil dieser Kosten ist dabei den chronischen Patientinnen und Patienten und den wiederkehrenden Fällen zuzuschreiben [4]. Auch können die Beschwerden und Einschränkungen sich negativ auf die psychische Gesundheit und das soziale Leben auswirken [15].

Infobox: Kosten in der Schweiz


Ursachen


Bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen können keine klaren Ursachen identifiziert werden. Verschiedene Strukturen im Rücken wurden aber mit den Symptomen in Verbindung gebracht, wie die Muskulatur, die Gelenke und die Bandscheiben. Psychosoziale Faktoren, wie etwa ungeeignetes Schmerzbewältigungsverhalten oder das Vorhandensein psychischer Beschwerden, werden ebenfalls mit den Schmerzen in Verbindung gebracht [18].


Weitere Risikofaktoren sind das Rauchen, Übergewicht, schwere körperliche Arbeit und eine geringe Kraft und/oder Ausdauer der Rumpfmuskulatur [19-22]. Der genaue kausale Zusammenhang scheint jedoch noch unzureichend erforscht zu sein.


Warum Bewegung helfen kann


Bewegung hat einen positiven Einfluss auf die Anatomie und die Funktion von Strukturen im Rückenbereich. Die Kräftigung der Rumpfmuskeln trägt zur Stützung der Lendenwirbelsäule bei. Die Verbesserung der Flexibilität von Sehnen und Bändern erhöht die Bewegungsfreiheit.

Ausdauersportarten verbessern die Durchblutung und Nährstoffversorgung der Weichteile im Rücken, verbessern den Heilungsprozess und reduzieren Steifheit, die zu Rückenschmerzen führen kann [23]. Ob diese Anpassungen auch tatsächlich mit einem vorbeugenden und/oder therapeutischen Effekt in Verbindung stehen, erfährst du in den nächsten Kapiteln.


 

2. DIE WISSENSCHAFTLICHE EVIDENZ FÜR BEWEGUNG ALS PRÄVENTION VON RÜCKENSCHMERZEN


Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit und etwa die Hälfte der Betroffenen erleidet ein Wiederauftreten der Symptome innerhalb eines Jahres nach Genesung [24, 25]. Es ist daher wichtig zu wissen, ob die Beschwerden verhindert werden können. Verschiedene Studien haben sich mit der Frage befasst, kommen aber zum Teil auf widersprüchliche Ergebnisse. Zwei neuere Metaanalysen liefern aber verlässlichere Antworten.

Definition Metaanalyse


Die Autorinnen und Autoren beider Publikationen haben die Daten von dutzenden von Beobachtungsstudien zusammengefasst und kommen zum Schluss, dass Bewegung mit einem geringeren Auftreten von chronischen Rückenschmerzen assoziiert ist [26, 27]. Das Risiko, Symptome zu entwickeln, war dabei bei aktiven Personen, verglichen mit inaktiven Menschen, um etwa 10–15 % geringer. Bewegung wirkt auch präventiv gegen ein Wiederauftreten der Symptome. Die Rezidivrate nach einem Jahr kann so um etwa 50 % gesenkt werden [28]. Der vorbeugende Effekt ist bei etwa 1–3 Stunden Bewegung pro Woche nachweisbar. Mehr Bewegung scheint aber den protektiven Effekt nicht weiter zu verstärken (siehe Abbildung 3) [26, 27].


Abbildung 3. Vorbeugende Wirkung von Bewegung auf Rückenschmerzen. Das relative Risiko gibt das Erkrankungsrisiko von aktiven zu inaktiven Personen an. Ein Wert von 1 bedeutet, dass aktive und inaktive das gleiche Risiko aufweisen. Werte unter 1 bedeuten, dass aktive Personen einem geringeren Risiko ausgesetzt sind. Graphik adaptiert aus Shiri und Falah-Hassan (2017) [27].



Eine weitere Metaanalyse, die die Wirksamkeit von verschiedenen Präventionsstrategien untersucht hat, kommt auch zum Schluss, dass Bewegung effektiv ist [29]. Dieser vorbeugende Effekt kann zudem mit Bildung (vor allem hinsichtlich der Hebetechnik und der Anatomie/ Biomechanik-Kenntnisse) verstärkt werden [29]. Andererseits sind Methoden wie Rückengurte, Schuheinlagen, Bildung allein oder ergonomische Anpassungen wahrscheinlich wirkungslos [29].


Welche Bewegungsmodalität die effektivste ist, kann anhand der vorhandenen Daten jedoch nicht beantwortet werden. Ratsam, auch hinsichtlich des allgemeinen Gesundheitszustands, sind deshalb die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit. Zur Förderung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit wird empfohlen, sich mindestens 150 Minuten pro Woche bei mittlerer Intensität oder 75 Minuten bei hoher Intensität zu bewegen, am besten verteilt auf mehrere Tage pro Woche [30]. Zusätzliches Ausdauer-, Kraft- und Beweglichkeitstraining fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden noch weiter [30]. Siehe Link für eine ausführlichere Beschreibung der Empfehlungen.


 

3. DIE WISSENSCHAFTLICHE EVIDENZ FÜR BEWEGUNG ALS THERAPIE VON RÜCKENSCHMERZEN


Wirkt Bewegung therapeutisch?


Es gibt unzählige Studien zum therapeutischen Effekt von Bewegung bei Rückenschmerzen. Eine umfassende Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 liefert daher die solideste Antwort. Dabei wurden die Daten von 249 einzelnen Studien (mit insgesamt 24'486 Teilnehmenden mit chronischen, nicht-spezifischen Rückenschmerzen) zusammengefasst und ausgewertet. Personen, die eine Bewegungstherapie erhielten, bewerteten drei Monate nach Beginn der Behandlung ihre Schmerzen auf einer Skala von 0 bis 100 um durchschnittlich 15 Punkte besser und ihre funktionellen Einschränkungen um 7 Punkte besser als Personen, die keine Therapie oder die übliche Pflege erhielten [3].


Die bescheidene Verbesserung im Schmerzempfinden ist aus medizinischer Sicht dennoch von Bedeutung, die in den funktionellen Einschränkungen aber nicht (siehe Abbildung 4) [3]. Der Begriff «von medizinischer Bedeutung» besagt, dass eine Behandlung eine echte und spürbare Wirkung auf das tägliche Leben hat. Das Ergebnis der Metaanalyse basiert jedoch auf einem Durchschnitt verschiedener Bewegungstherapie-Ansätze. Ob eine Methode besser wirkt als die andere, wird weiter unten diskutiert.


Abbildung 4. Auswirkung einer Bewegungstherapie auf dem Schmerzempfinden und den funktionellen Einschränkungen. Adaptiert aus Hayden et al. (2021) [3].



Der Vergleich mit anderen Behandlungsformen


Als Einzeltherapie scheint Bewegung gleich effektiv oder leicht effektiver zu sein als andere konservative Behandlungsformen (siehe Abbildung 5) [3, 31-33]. Unterschiedliche Strategien sollten aber einander nicht ausschliessen, da die Schmerzreduktion eindimensionaler Therapien oft bescheiden ausfällt [34]. Einigkeit herrscht aber darüber, dass Bewegung ein integraler Bestandteil bei der Therapie von Rückeschmerzen sein sollte [35].


Abbildung 5. Direkter Vergleich der Wirksamkeit von Bewegung mit anderen konservativen Therapieformen. Eine negative Punktezahl bedeutet, dass Bewegung effektiver ist als die jeweilige Vergleichsbehandlung. Die Daten stammen aus Hayden et al. (2021) [36]. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für die funktionellen Einschränkungen [36].


Bemerkung

Nebst Bewegung werden in den meisten europäischen Leitfäden für die Behandlung von Rückenschmerzen noch eine Beratung oder Bildung sowie das Weiterführen des normalen Alltags empfohlen. Eine Operation oder eine psychologische oder multidisziplinäre Therapie kann für gewisse Patientengruppen sinnvoll sein. Von Bettruhe, bildgebenden Verfahren (ausser in Ausnahmefällen), Traktion- oder Elektrotherapie, Orthesen, spinalen Injektionen (ausser in Ausnahmefällen), Antidepressiva, Antikonvulsiva/Antiepileptika, oder Muskelrelaxantien wird grundsätzlich abgeraten [35]. Uneinigkeit herrscht betreffend Entzündungshemmern, Opioiden, Wärmetherapie, manueller Therapie, epiduralen Injektionen, Haltungstherapie sowie Akupunktur [35].


Wirksamkeit bei akuten Rückenschmerzen


Die Effektivität bei chronischen Schmerzen ist eindeutig belegt [3]. Bei Patientinnen und Patienten mit akuten (< 6 Wochen) Rückenschmerzen scheint hingegeben eine Bewegungstherapie nicht besser zu wirken als keine Therapie oder eine andere konservative Therapie [36]. Da akute Schmerzen bei vielen Personen innerhalb von wenigen Wochen von selbst abklingen [6, 7], wird in diesen Fällen meistens empfohlen, die Ruhe zu bewahren (wegen der guten Prognose), den normalen Alltag weiterzuführen, und wenn nötig kurzfristig Medikamente einzunehmen [5]. Von Bettruhe und einer betreuten Bewegungstherapie wird abgeraten (letzteres aus Kostengründen) [5]. Bewegung, zum Beispiel in Form von Spazieren oder zügigem Gehen, kann aber trotzdem empfohlen werden (am besten erst ein paar Tage nach Symptombeginn) [37-39].


Welche Trainingsmethode ist die effektivste?


Bewegung hilft bei chronischen Rückenschmerzen. Welche Methode liefert aber die besten Ergebnisse? Eine Metaanalyse von 217 Studien ist dieser Frage nachgegangen und kommt zum Schluss, dass die meisten Sportarten effektiv sind, wobei Pilates, das McKenzie-Konzept und ein funktioneller Ansatz die wahrscheinlich besten Resultate liefern (siehe Abbildung 6) [40]. Die Wirksamkeit des McKenzie-Konzepts scheint aber noch nicht gesichert zu sein, da in anderen Analysen der Effekt klein oder abwesend ist [41, 42].


Abbildung 6. Wirksamkeit von Bewegung, verglichen mit keiner Behandlung, einem Placebo, oder anderen minimalen Behandlungen, auf das Schmerzempfinden und funktionelle Einschränkungen in Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Daten aus Hayden et al. (2021) [40].

Definitionen

  • Pilates ist ein systematisches Ganzkörpertraining zur Kräftigung der Muskulatur, primär von Beckenboden-, Bauch- und Rückenmuskulatur.

  • Das McKenzie-Konzept beinhaltet wiederholte passive Wirbelsäulenbewegungen und bestimmte angehaltene Positionen.

  • Ein funktioneller Ansatz konzentriert sich auf die Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit durch eine mehrgleisige Strategie aus psychosozialer Unterstützung und körperlicher Aktivität. Er beinhaltet oft Rumpftraining.

  • Rumpftraining zielt darauf ab, die Kontrolle, Koordination und Kraft der Bauch-, Lenden- und Beckenregion zu verbessern.

  • Allgemeines Krafttraining hat zum Ziel, die Kraft, Kontrolle und Koordination der grösseren Muskelgruppen zu trainieren (Rücken, Rumpf, Brust, Schultern, Beine).

  • Yoga beinhaltet Bewegungsabläufe zur Verbesserung von Muskelkraft und Flexibilität, Atemübungen, mentale Entspannungstechniken und Meditation.

  • Flexibilitätstraining umfasst wiederholte Bewegungen innerhalb des Bewegungsbereichs der Patientinnen und Patienten (in diesem Kontext mit Fokus auf die Beweglichkeit des Rückens).

  • Ausdauertraining beinhaltet traditionelle Ausdauersportarten, wie Spazieren, zügiges Gehen, Joggen, Velofahren oder Schwimmen.

  • Beim Dehnen werden passiv Positionen gehalten, mit dem Ziel einer Verlängerung von Muskeln und Sehnen/Bändern.


Trainingsformen, die auf eine Verbesserung der Koordination, Ausdauer und Kraft des Rumpfs abzielen, scheinen also effektiv zu sein. Es gibt jedoch keine ausreichenden Beweise für die Verwendung von eindimensionalen Therapien (z. B. nur Rumpftraining) [43]. Vom American College of Sports Medicine wird deshalb empfohlen, breit zu trainieren. Das bedeutet: eine Kombination von Ausdauer-, Kraft- und Flexibilitätstraining (siehe auch das Bewegungsrezept in Kapitel 4) [43].


Ausdauer- und Krafttraining sind auch wegen der positiven Effekte auf die physische und psychische Gesundheit wichtig [2, 44, 45]. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, da eine Depression etwa ein Drittel der Personen mit Rückenschmerzen betrifft [46].

Tipps

  • Schaue beim Krafttraining immer auf die korrekte Durchführung der Übungen und verwende nicht zu schwere Gewichte, da sich die Schmerzen sonst verschlimmern können [47].

  • Sportarten mit erhöhter Beteiligung des Oberkörpers sind für die Kräftigung und Ausdauer der Rumpfmuskeln ebenfalls geeignet (z. B. Volleyball, Tennis, Rudern, Langlaufen, Gymnastik, Schwimmen).


Die Dosis: wie viel Bewegung und bei welcher Intensität?


Eine hohe Dosis an Bewegung (insgesamt 20 Stunden Bewegung oder mehr) scheint im Durchschnitt die Schmerzen und die funktionellen Einschränkungen stärker zu reduzieren als eine niedrige Dosis (< 20 Stunden), wobei der Unterschied gering ist [40].

Beispiel

  • Hohe Dosis: 3-mal wöchentlich 1 Stunde trainieren, über die Dauer von 8 Wochen (Dosis = 24 Stunden).

  • Niedrige Dosis: 1-mal wöchentlich 2 Stunden trainieren, über die Dauer von 8 Wochen (Dosis = 16 Stunden).


Ob hohe oder mittlere Intensitäten effektiver sind, ist schwierig zu beantworten, da sehr wenige Studien verschiedene Intensitäten direkt miteinander verglichen haben. Eine solche Studie legt nahe, dass ein multimodales Trainingsprogramm (Ausdauer + allgemeines Krafttraining + Rumpftraining) bei hoher Intensität wirkungsvoller ist als bei mittlerer Intensität – allerdings nur bezogen auf die funktionellen Einschränkungen [48]. Bezüglich des Schmerzempfindens waren beide Intensitäten gleich effektiv [48]. Von der Verallgemeinerung einzelner Studien – vor allem, wenn wie hier nur wenige Personen getestet wurden – wird aber grundsätzlich abgeraten [49].


Wie lange und bei welcher Intensität man trainieren sollte, um Rückenschmerzen effektiv zu behandeln, ist also nicht eindeutig bestimmt. Die zahlreichen Studien zum Thema liefern aber einen guten Anhaltspunkt. Diese verwendeten oft ein Training, das 2–3-mal pro Woche bei mittlerer oder hoher Intensität über eine Dauer von 1–6 Monaten durchgeführt wurde.


 

4. DAS BEWEGUNGSREZEPT GEGEN RÜCKENSCHMERZEN


Das Bewegungsrezept basiert auf den neusten Empfehlungen des American College of Sports Medicine (ACSM) für Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen [43]. Das ACSM ist eine international angesehene Organisation, die wissenschaftlich fundierte Standards für die Verschreibung von Bewegung liefert. Es bietet somit einen Anhaltspunkt für alle, die mit Bewegung ihre Schmerzsymptome bessern wollen. Das Programm kann auf individuelle Bedürfnisse und Ziele angepasst werden.


Wenn du glaubst, dass du unter chronischen Rückenschmerzen leidest, suche die Hilfe einer qualifizierten Fachperson auf. Spreche mit deiner Ärztin oder deinem Arzt, bevor du ein Trainingsprogramm startest. Frage nach Umstellungen der Medikation oder deiner Bedenken, aktiver zu werden. Ein Gesundheitscheck ist vor Beginn eines Trainingsprogramms empfehlenswert.

Bewegungsrezept gegen Rückenschmerzen

Form

  • Allgemeine Bewegungsempfehlungen zur Förderung der Gesundheit folgen (Ausdauer-, Kraft- und Flexibilitätstraining, siehe Link für eine ausführlichere Beschreibung).

  • Ein Fokus auf Übungen, die auf die Koordination, Ausdauer und Kraft des Rumpfs abzielen, erscheint sinnvoll (z. B. Pilates, Yoga, Rumpfkräftigung, Flexibilitätstraining von Hüfte und Beinen).

Häufigkeit

  • Ausdauer: ≥ 3-mal pro Woche.

  • Kraft: ≥ 2-mal pro Woche.

  • Flexibilität: ≥ 2–3-mal pro Woche, am besten täglich.

Intensität

  • Ausdauer: Mittlere bis hohe Intensität*.

  • Kraft: Für Anfänger: 60–70 % des 1-RM**, über 8–12 Wiederholungen. Für Fortgeschrittene eignen sich verschiedene Intensitäten und Anzahl Wiederholungen.

  • Flexibilität: Dehnen bis zu einem Spannungsgefühl oder leichtes Unbehagen.

Dauer

  • Ausdauer: 20–60 min pro Training. Ziel: ≥ 150 min pro Woche bei moderater Intensität (oder ≥ 75 min bei hoher Intensität).

  • Kraft: 5–10 Sätze*** pro Muskelgruppe pro Woche.

  • Flexibilität: Passives Dehnen für 10–30 s pro Dehnübung (30–60 s für ältere Personen). Ergibt ≤ 10 min pro Sitzung.

Zeitraum

  • In Studien ist der Schmerzlindernde Effekt nach 1–6 Monaten beobachtbar.

* Siehe Link für eine ausführlichere Beschreibung (Tabelle 2).

** 1-RM steht für 1-Repetition-Maximum und beschreibt die maximale Last, die eine Person nur einmal bewegen kann.

*** Ein Satz beschreibt eine Einheit aus mehreren nacheinander ausgeführten Wiederholungen


Anmerkungen

  • Etwas Bewegung – auch wenn die oben erwähnten Empfehlungen nicht erfüllt werden – ist besser als keine Bewegung.

  • Auf Übungen und Positionen verzichten, die die Symptome verschlimmern oder die den Schmerz ins Bein ausstrahlen lassen [43].

  • Gehen, vor allem bergabwärts, kann die Symptome verschlimmern, speziell bei älteren Personen [50]. Dagegen kann Gehen auf einem geneigten Laufband oder Radfahren mit gebeugter Lendenwirbelsäule hilfreich sein, wenn eine aufrechte Position Mühe bereitet [43].

  • Ein personalisiertes und beaufsichtigtes Trainingsprogramm, das Kräftigung und Dehnen beinhaltet, gepaart mit Kundenpräferenzen und Fachkenntnissen des Personals, liefert gute Ergebnisse [43, 51].

  • Übungen, die die Zentralisation fördern (d. h. Verringerung der Schmerzen in den Beinen von distal zu proximal), sind für Patientinnen und Patienten mit Schmerzausstrahlung in den Beinen empfehlenswert (z. B. prone press ups oder supine knees to chest) [43].


Kontraindikationen


Unmittelbar nach dem Auftreten einer akuten und schweren Episode von Rückenschmerzen ist es ratsam, für 1–2 Wochen auf körperliche Aktivität zu verzichten, um die Symptome nicht zu verschlimmern. Danach können Aktivitäten wieder sorgfältig eingeführt werden [43].


Bei Verdacht auf oder bekannter Fraktur, Tumor oder Infektion im Rücken soll auf Bewegung verzichtet werden [2]. Bei Osteoporose, Wirbelgleiten oder bei einem Bandscheibenvorfall ist Bewegung unter gewissen Voraussetzungen möglich (z. B. kein intensives Rückentraining beim Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung) [2].


Weitere Vorsichtsmassnahmen sind individuell, je nach vorhandenen Krankheiten.


Risiken und Nebenwirkungen


Für Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen: Die wenigen Studien, die systematisch über unerwünschte Nebenwirkungen berichten, geben meist geringfügige Begleiterscheinungen an, wie etwa vorübergehende Muskelschmerzen [3]. Eine langsame Einführung in das Training sollte diese Nebenwirkung auf ein Minimum reduzieren [43].


Allgemein: siehe Artikel: Sport – Risiken und Nebenwirkungen

Referenzen


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