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Mehr Muskeln dank elektrischer Muskelstimulation (EMS)?

Aktualisiert: vor 12 Stunden

Ein wissenschaftlicher Blick auf die Effektivität von EMS-Training.

 


Was ist EMS-Training?


Das EMS-Training ist eine Form des Krafttrainings, die auf strominduzierten Muskelkontraktionen beruht. Die Verabreichung der Stromimpulse geschieht dabei über Hautelektroden, die auf den Muskeln platziert werden. Je nach Amplitude und Frequenz der elektrischen Impulse kann so der Muskel unterschiedlich stark aktiviert werden.


Grundsätzlich wird zwischen zwei Formen von EMS-Training unterschieden. Beim lokalen EMS werden nur einzelne Muskeln isoliert stimuliert, beim Ganzkörper-EMS dagegen verschiedene Muskelgruppen gleichzeitig. Auch wird unterschieden, ob die Stimulation unter Ruhebedingungen appliziert (passiv) oder einer willentlich ausgeführten Kontraktion aufgesetzt wird (aktiv). Die EMS-Fitnessstudios bieten meistens den Ganzkörper-EMS (aktiv) an (siehe Abbildung 1).



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Abbildung 1. Beispiel für Ganzkörper-EMS (Frau in Weinrot). Der elektrische Impuls wird zusätzlich zu willentlich ausgeführten Kontraktionen aufgesetzt.

 


In der Theorie führen die strominduzierten Muskelkontraktionen zu einer gesteigerten muskulären Leistungsfähigkeit. Beispielweise wird argumentiert, dass die elektrische Muskelstimulation – wenn sie zusätzlich zu einer willentlich ausgeführten Kontraktion aufgesetzt wird – zu einer erhöhten Muskelaktivierung und/oder zu einer einfacheren Rekrutierung von schnellen Muskelfasern führt [1,2]. So soll der Trainingsreiz höher ausfallen sowie die Kraft und Muskelmasse effizienter gesteigert werden.


Die elektrische Muskelstimulation wurde bereits im 18. Jahrhundert zur Rehabilitation nach Verletzungen eingesetzt [3]. Seit den 1970er-Jahren wird sie auch von gesunden Personen zur angeblichen Steigerung der Muskelkraft und Muskelmasse verwendet [4]. Heutzutage versprechen viele EMS-Anbieter, mit minimalem Aufwand (z. B. 20 min pro Woche) mehr Muskeln aufzubauen, Fett zu reduzieren und Schmerzen zu lindern. Wie sieht jedoch die wissenschaftliche Datenlage zur Wirksamkeit aus?

 

Wirkt EMS?


Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 hat die Daten von 19 Studien zusammengefasst, die die Wirksamkeit von EMS-Training mit herkömmlichem Krafttraining verglichen haben [1]. Dabei war ein wichtiges Kriterium bei der Studienauswahl, dass die zwei Interventionsgruppen das gleiche Training durchführen mussten (z. B. täglich 100 Kniebeugen über 3 Monate). Der einzige Unterschied lag darin, dass der EMS-Trainingsgruppe während des Trainings eine elektrische Muskelstimulation aufgesetzt wurde (z. B. mittels Weste mit eingearbeiteten Elektroden), der herkömmlichen Trainingsgruppe jedoch nicht. Dieses Studiendesign erlaubt es, die Frage zu beantworten, ob das EMS-Training einen zusätzlichen Nutzen mit sich bringt. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass das EMS-Training einem herkömmlichen Krafttraining nicht überlegen ist [1]. Auch kann die Hypothese, dass ein EMS-Training zeiteffizienter sein soll, nicht bestätigt werden, da der Zeitaufwand beider Gruppen (EMS-Training vs. herkömmliches Training) identisch war.


Dennoch gibt es Studien, die dem EMS-Training eine bedeutsame Wirkung attestieren. Beispielsweise folgern die Autoren einer Metaanalyse, dass ein Ganzkörper-EMS-Training zur Kraftsteigerung und zum Muskelaufbau sehr effektiv ist [5]. Nicht erwähnt wird jedoch, dass 11 der 14 analysierten Studien eine inaktive Kontrollgruppe verwendeten. Beim Vergleich EMS-Training vs. kein Training kann aber nicht differenziert werden, ob die positiven Effekte von den willkürlich ausgeführten Bewegungen oder von den überlagerten elektrischen Impulsen stammen. Metaanalysen, die das EMS-Training mit herkömmlichem Training vergleichen, zeigen deutlich, dass die Wirksamkeit von EMS-Training auf den Bewegungen selbst (z. B. Kniebeugen) und nicht auf den überlagerten elektrischen Impulsen beruht [1,6]. Die elektrische Muskelstimulation bringt also für das Krafttraining an und für sich keine Vorteile.

 

Infobox: Weitere Anwendungen von EMS-Training

EMS-Anbieter werben oft mit einer angeblichen fettabbauenden Wirkung mit EMS-Training. Zwei Metaanalysen kommen jedoch zum Schluss, dass ein Training mit EMS nicht in der Lage ist, das Körpergewicht zu reduzieren oder Fett abzubauen [5,7]. Welche Trainingsform zum Abnehmen wirklich hilft, erfahrst du hier.

Auch scheint das EMS-Training nicht in der Lage zu sein, Blutparameter (wie Blutzucker- und Blutfettwerte) positiv zu beeinflussen [7,8]. In manchen Fällen kann sich ein EMS-Training sogar negativ auf die Gesundheit auswirken. In den vergangenen Jahren sind verschiedene Fallberichte aufgetaucht, in denen eine Rhabdomyolyse nach einer Trainingseinheit mit einem hohen Anstieg der Kreatinkinase-Aktivität (ein Marker für Muskelschäden) aufgetreten ist [9-12].

Beim Thema Rückenschmerzen zeigt sich das gleiche Bild wie beim Thema Kraft- und Muskelzuwachs. Obwohl eine Metaanalyse auf eine leichte Verbesserung von Rückschmerzen nach einem mehrmonatigen EMS-Training hindeutet, beruht dieser Befund auf dem Vergleich EMS-Training vs. kein Training [13]. Wenn EMS-Training mit einem herkömmlichen Training (z. B. Übungen zur Stärkung des Rückens) verglichen wird, so sind beide Trainingsformen ähnlich wirksam [14]. Dies deutet wieder darauf hin, dass die Bewegung selbst und nicht die elektrische Muskelstimulation die positiven Auswirkungen auslöst.

Das EMS-Training scheint nur in der Rehabilitation eine wissenschaftlich gestützte Anwendung gefunden zu haben [15]. Nach einer Verletzung, insbesondere in Phasen der Ruhigstellung, kann ein EMS-Training die Patientin oder den Patienten auf die Physiotherapie und das Muskelaufbautraining von späteren Rehabilitationsphasen vorbereiten [16].

 

Fazit


EMS-Training ist weder effektiver noch zeiteffizienter als herkömmliches Krafttraining. Allerdings kann es in der Rehabilitation nach Verletzungen oder Krankheiten für einen begrenzten Zeitraum von Nutzen sein.


Referenzen

  1. Happ KA, Behringer M. Neuromuscular Electrical Stimulation Training vs. Conventional Strength Training: A Systematic Review and Meta-Analysis of the Effect on Strength Devel-opment. J Strength Cond Res. 2022 Dec;36(12):3527–40.

  2. Gregory CM, Bickel CS. Recruitment patterns in human skeletal muscle during electrical stimulation. Phys Ther. 2005 Apr;85(4):358–64.

  3. Hainaut K, Duchateau J. Neuromuscular Electrical Stimulation and Voluntary Exercise: Sports Med. 1992 Aug;14(2):100–13.

  4. Ward AR, Shkuratova N. Russian Electrical Stimulation: The Early Experiments. Phys Ther. 2002 Oct 1;82(10):1019–30.

  5. Kemmler W, Shojaa M, Steele J, Berger J, Fröhlich M, Schoene D, et al. Efficacy of Whole-Body Electromyostimulation (WB-EMS) on Body Composition and Muscle Strength in Non-athletic Adults. A Systematic Review and Meta-Analysis. Front Physiol. 2021 Feb 26;12:640657.

  6. Wirtz N, Dörmann U, Micke F, Filipovic A, Kleinöder H, Donath L. Effects of Whole-Body Elec-tromyostimulation on Strength-, Sprint-, and Jump Performance in Moderately Trained Young Adults: A Mini-Meta-Analysis of Five Homogenous RCTs of Our Work Group. Front Physiol. 2019 Nov 8;10:1336.

  7. De Oliveira TMD, Felício DC, Filho JE, Fonseca DS, Durigan JLQ, Malaguti C. Effects of whole-body electromyostimulation on health indicators of older people: Systematic review and meta-analysis of randomized trials. J Bodyw Mov Ther. 2022 Jul;31:134–45.

  8. Pano-Rodriguez A, Beltran-Garrido JV, Hernández-González V, Reverter-Masia J. Effects of whole-body ELECTROMYOSTIMULATION on health and performance: a systematic review. BMC Complement Altern Med. 2019 Dec;19(1):87.

  9. Kästner A, Braun M, Meyer T. Two Cases of Rhabdomyolysis After Training With Electromy-ostimulation by 2 Young Male Professional Soccer Players. Clin J Sport Med. 2015 Nov;25(6):e71–3.

  10. Stöllberger C, Finsterer J. Side effects of and contraindications for whole-body electro-myo-stimulation: a viewpoint. BMJ Open Sport Exerc Med. 2019 Dec;5(1):e000619.

  11. Teschler M, Mooren FC. (Whole-Body) Electromyostimulation, Muscle Damage, and Immune System: A Mini Review. Front Physiol. 2019 Nov 29;10:1461.

  12. Johannsen AD, Krogh TP. Rhabdomyolysis in an elite dancer after training with electro-myostimulation: A case report. Transl Sports Med. 2019 Sep;2(5):294–7.

  13. Kemmler W, Weissenfels A, Bebenek M, Fröhlich M, Kleinöder H, Kohl M, et al. Effects of Whole‐Body Electromyostimulation on Low Back Pain in People with Chronic Unspecific Dorsal Pain: A Meta‐Analysis of Individual Patient Data from Randomized Controlled WB‐EMS Trials. Silberstein M, editor. Evid Based Complement Alternat Med. 2017 Jan;2017(1):8480429.

  14. Weissenfels A, Wirtz N, Dörmann U, Kleinöder H, Donath L, Kohl M, et al. Comparison of Whole-Body Electromyostimulation versus Recognized Back-Strengthening Exercise Training on Chronic Nonspecific Low Back Pain: A Randomized Controlled Study. BioMed Res Int. 2019 Sep 29;2019:1–9.

  15. Maddocks M, Gao W, Higginson IJ, Wilcock A. Neuromuscular electrical stimulation for muscle weakness in adults with advanced disease. In: The Cochrane Collaboration, editor. Cochrane Database of Systematic Reviews [Internet]. Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd; 2011 [cited 2024 Dec 4]. p. CD009419.

  16. Paillard T. Combined Application of Neuromuscular Electrical Stimulation and Voluntary Muscular Contractions: Sports Med. 2008;38(2):161–77.


Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine medizinische Beratung. Umsetzung der Inhalte auf eigene Verantwortung.

 
 

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