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Neue Laufschuhe, weniger Verletzungen? Ein Blick auf die Studienlage

  • Jan Stutz, Dr. sc. ETH
  • vor 3 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Trotz milliardenschwerer Innovationen: Kein Laufschuhmodell beugt Verletzungen besser vor als ein anderes. Worauf kommt es dann beim Kauf wirklich an?




Das Laufen wurde in der Schweiz ab den 70er-Jahren zum Breitensport. Mit der zunehmenden Zahl an Läuferinnen und Läufern stieg aber auch die Anzahl an Verletzungen. Darunter zählen Knieschmerzen, Schienbeinschmerzen, Fusssohlenschmerzen und Überlastungsschäden wie Ermüdungsbrüche oder Sehnenentzündungen. Parallel dazu hat sich die Laufschuhindustrie zu einem Multi-Milliardengeschäft entwickelt, oft mit dem Werbeversprechen, dass neue Schuhe das Verletzungsrisiko minimieren. Wie in Abbildung 1 ersichtlich, scheint es jedoch keinen zeitlichen Trend bei der Häufigkeit von Verletzungen zu geben, was der Behauptung widerspricht, dass neue Laufschuhe vorbeugend wirken.

 



Grafik Inzidenz Laufverletzungen

Abbildung 1. Frequenz von Laufverletzungen im Laufe der Zeit. Einzelne Punkte stellen einzelne Studien dar. Adaptiert aus Nigg et al. (2015) (1).

 


Die Daten sind aber mit Vorsicht zu interpretieren, da Studien unterschiedliche Verletzungsdefinitionen und Populationen verwenden. Während früher vorwiegend Leistungssportlerinnen und -sportler analysiert wurden, stehen heute eher Hobbysportlerinnen und -sportler im Fokus. Diese Faktoren könnten einen verletzungsminimierenden Effekt neuer Laufschuhe maskieren (1).



Die wissenschaftliche Datenlage


Eine geeignete Methode, um die Wirksamkeit von Laufschuhen zur Vorbeugung von Verletzungen zu testen, sind randomisierte kontrollierte Studien (RCT). Besonders erwähnenswert ist eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022 (2). Die Autorinnen und Autoren haben die Daten von 12 RCTs mit insgesamt 11'240 Teilnehmende analysiert. Die Laufschuhe wurden dabei in vier Kategorien unterteilt: Neutral/gedämpft, Motion-Control, Stabilität und minimalistisch.


Die Hersteller argumentieren, dass gewisse Schuhmerkmale sich positiv auf das Verletzungsrisiko auswirken. So sollen minimalistische Schuhe die Fussmuskulatur stärken, Motion-Control-Schuhe übermässige Fussbewegungen reduzieren und gedämpfte Schuhe die Krafteinwirkung auf den Körper verringern. Obwohl diese Aussagen in biomechanischen Untersuchungen nachweisbar sind (3), so scheinen diese Funktionen keine messbaren Auswirkungen auf das Verletzungsrisiko zu haben.


Die Hauptaussage des Reviews lautet nämlich, dass kein Laufschuhmodell dem anderen überlegen ist: Alle wiesen im Durchschnitt denselben Verletzungsrisiko auf (2). Interessanterweise scheint auch eine Laufschuh-Verschreibung basierend auf der Fusshaltung keinen verletzungsmindernden Effekt aufzuweisen (2). Das Review kann jedoch keine Aussage über maximalistische Schuhe (mit besonders viel Dämpfung) treffen, da bis 2022 noch keine RCT zu diesem Schuhmodell publiziert worden ist.


«Im Durchschnitt wirkt kein Laufschuhmodell besser als das andere, um Verletzungen vorzubeugen»

Ein Grund für die fehlende Wirkung könnte darin liegen, dass jede Person unterschiedlich auf einen Schuh reagiert, wie biomechanische Analysen zeigen (4,5). Die Wahl des richtigen Schuhs ist daher eine individuelle Angelegenheit, bei der eine stratifizierte Analyse der Daten weitere Erkenntnisse liefern kann.



Keine Wirkung – oder doch?


In einem Review aus dem Jahr 2020 findet man diese Analysen (6). Die Autoren haben etwa einen schützenden Effekt von Schuhdämpfung nachweisen können, aber nur für leichte Läuferinnen und Läufer. Dies widerspricht allerdings der Theorie, dass gedämpfte Schuhe für übergewichtige Personen von Vorteil sind, weshalb weitere Studien nötig sind. Es gibt auch einzelne Studien, die zeigen, dass Motion-Control-Schuhe bei Personen mit starker Fusspronation Verletzungen vorbeugen können (7). Allerdings widerlegt eine andere Studie die weitverbreitete Annahme, dass moderate Fusspronation mit einem erhöhten Verletzungsrisiko verbunden ist (8). Zuletzt ist bei Hobbysportlerinnen und -sportlern ein schützender Effekt von einem tiefen Heel-toe drop (0 bis 6 mm) nachweisbar.


Die Autoren argumentieren aber, dass dieser Effekt eher damit zusammenhängt, ob die Läuferinnen und Läufer auf demselben Laufschuhmodell bleiben oder nicht, da ein Wechsel auf ein anderes Modell die Verletzungsgefahr akut steigern könnte (6). Erwähnenswert ist noch eine Studie aus dem Jahr 1984, die am GP-Bern durchgeführt worden ist, mit über 4000 Teilnehmern. Es wurde kein Zusammenhang zwischen Schuhmarke oder -kosten und dem Verletzungsrisiko festgestellt (9). Es muss also nicht immer der teuerste Schuch sein.



Praktische Tipps


Welcher Laufschuh soll es also sein, um Verletzungen vorzubeugen? Prof. Benno Nigg – einer der bekanntesten Laufschuhforscher – empfiehlt, beim Kauf einfach den Schuh zu wählen, der sich beim Laufen am bequemsten anfühlt. Wer auf sein persönliches Laufgefühl hört, kann so automatisch das Verletzungsrisiko senken (1).


Nebst Komfort wird auch empfohlen, sich schrittweise und vorsichtig an ein neues Schuhpaar zu gewöhnen und beim Training auf den eigenen Körper zu achten (6). Verschiedene Paar Schuhe zu benutzen, etwa ein Paar für Wettkämpfe und eins für das Training, kann ebenfalls dazu beitragen, das Verletzungsrisiko zu reduzieren (10). Präventiv kann Krafttraining der Fussmuskulatur empfohlen werden, da es nachweislich das Verletzungsrisiko verringern kann (11). Ein paar Übungsideen zur Kräftigung der Fussmuskulatur findest du hier.


Und der einfachste, aber wichtigste Tipp zum Schluss: Da die meisten Verletzungen auf Überbelastung zurückzuführen sind, ist es besonders wichtig, das neue Trainingsvolumen langsam zu steigern.



Hinweis: Der Originalartikel wurde für das Schweizer Sportmagazin Fit for Life verfasst (www.fitforlife.ch).


Referenzen


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