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Sturzprävention durch Training: Was wirkt am besten?

Aktualisiert: 19. Juni

Ein evidenzbasierter Trainingsvorschlag auf Basis von 108 Studien.




Mindestens ein Drittel der über 65-Jährigen stürzt jedes Jahr (1,2). Stürze können schwerwiegende Folgen haben, wie Knochenbrüche oder Kopfverletzungen (3). Doch selbst weniger ernste Verletzungen wie Prellungen, Schnittwunden und Verstauchungen führen oft zu Schmerzen, Einschränkungen im Alltag und hohen Gesundheitskosten (4).


Stürze beeinträchtigen jedoch nicht nur die körperliche Gesundheit. Sie können das Selbstvertrauen schwächen, die Angst vor weiteren Stürzen verstärken und die Lebensqualität erheblich einschränken (5,6). Viele Betroffene reduzieren ihre Aktivität aus Sorge vor einem erneuten Sturz. Dies führt zu einem Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und weniger sozialen Interaktionen – ein Teufelskreis, der das Sturzrisiko weiter erhöht (5).


Viele Stürze bei älteren Menschen entstehen durch das Zusammenspiel mehrerer intrinsischer, pharmakologischer, umweltbedingter, verhaltensbezogener und aktivitätsbezogener Faktoren (7). Eine wichtige Rolle spielt auch die Einschränkung der Muskelkraft, der Gleichgewichtskontrolle und des Gangbildes (1). Die gute Nachricht: Diese Fähigkeiten lassen sich durch gezieltes Training verbessern (8,9). Doch kann Bewegung wirklich das Sturzrisiko senken?

 


108 Studien und eine klare Antwort


Eine Gruppe von Forschenden hat diese Frage untersucht und alle verfügbaren Studien zum Thema zusammengefasst. In ihrer Analyse berücksichtigten sie 108 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) (10).


Ein randomisiertes Studiendesign bedeutet, dass die Teilnehmenden zufällig der Trainings- oder Kontrollgruppe zugeteilt wurden. Kontrolliert heisst, dass die Ergebnisse der Trainingsgruppe mit einer Gruppe verglichen wurden, die kein gezieltes Training erhielt. Dieses Vorgehen ist entscheidend, um sicherzustellen, dass beobachtete Verbesserungen tatsächlich auf das Training zurückzuführen sind – und nicht auf Erwartungen oder spontane Veränderungen.


Insgesamt nahmen 23’407 Personen (Durchschnittsalter 76 Jahre, 77 % Frauen) aus 25 Ländern an den Studien teil. Die Trainingsprogramme umfassten Gleichgewichtsübungen, funktionelle Übungen, Krafttraining, Tai-Chi, Tanzprogramme und Lauftraining.


Zeigte das Training Wirkung?


Ja. Studien zeigen, dass regelmässiges Training das Sturzrisiko deutlich reduziert. Basierend auf einem beispielhaften Risiko von 850 Stürzen pro 1000 Personen pro Jahr (Daten aus der Kontrollgruppe) führte das Training zu 195 weniger Stürzen in der Trainingsgruppe (Abbildung 1).


stürze pro jahr. Training senkt risiko

Abbildung 1. Regelmässiges Training reduziert das Sturzrisiko.

 


Welche Trainingsformen sind am effektivsten?


Am wirkungsvollsten ist ein Training, das mit alltagsnahen Übungen gezielt Gleichgewicht und Kraft verbessert. Tai-Chi kann sich ebenfalls positiv auf das Sturzrisiko auswirken. Ob isoliertes Kraft-, Tanz- oder Lauftraining das Risiko senken kann, lässt sich aus der derzeitigen Datenlage nicht eindeutig beantworten. Da keine Studien zu Beweglichkeitstraining oder Ausdauersportarten analysiert wurden, kann hierzu keine Aussage getroffen werden.


Das funktionelle Training von Gleichgewicht, Kraft und Gang scheint somit die wirksamste Einzelstrategie zu sein, um Stürze zu vermeiden (11). In Kombination mit weiteren Strategien kann das Risiko zusätzlich gesenkt werden.


Infobox: Weitere Strategien, um das Sturzrisiko zu senken (12)

  • Wohnung sicher gestalten: Massnahmen ergreifen, um Stürze zu vermeiden und die Sicherheit zu gewährleisten.

  • Augen und Gehör testen lassen: Seh- und Hörveränderungen erhöhen das Sturzrisiko. Brillen, Kontaktlinsen und Hörgeräte gut anpassen lassen und nach Empfehlung tragen.

  • Nebenwirkungen von Medikamenten prüfen: Schläfrigkeit oder Schwindel als Nebenwirkung mit Ärzt*innen oder Apotheker*innen besprechen.

  • Ausreichend Schlaf bekommen: Müdigkeit erhöht das Sturzrisiko.

  • Alkoholkonsum einschränken: Übermässiger Alkoholkonsum kann zu Gleichgewichtsproblemen und Stürzen führen.

  • Langsam aufstehen: Zu schnelles Aufstehen kann den Blutdruck senken und Schwindel verursachen.

  • Gehhilfen nutzen, wenn nötig: Gehstöcke oder Rollatoren helfen, sicher zu gehen. Besonders wichtig auf unbekannten oder unebenen Wegen.

  • Besondere Vorsicht bei rutschigen Oberflächen: Nasse oder vereiste Wege sind gefährlich.

  • Hände freihalten: Schultertaschen, Bauchtaschen oder Rucksäcke nutzen, um Hände für Geländer freizuhalten.

  • Passendes Schuhwerk wählen: Rutschfeste, gummisohlige, flache Schuhe tragen. Keine glatten Sohlen, Socken oder Hausschuhe ohne Profil auf Treppen oder glatten Böden tragen.



Das Training zur Sturzprävention


Dieses Training eignet sich besonders für Personen, die bereits gestürzt sind. Es hilft, erneute Stürze zu vermeiden und das Vertrauen in die eigene Bewegungssicherheit zurückzugewinnen. Doch auch zur Vorbeugung ist es wirksam: Schon 1–2 Trainingseinheiten pro Woche können das Gleichgewicht verbessern und das Sturzrisiko senken. Viele Übungen lassen sich zudem einfach in den Alltag integrieren – zum Beispiel durch Einbeinstand beim Zähneputzen oder Wadenheben beim Abwasch.


Trainingsempfehlungen


  • Trainingsdauer: Mindestens 3–6 Monate

  • Frequenz: 2–3-mal pro Woche

  • Dauer: 30–60 Minuten pro Training

  • Langfristiger Erfolg: Nach der intensiven Phase kann das Training auf 1–2-mal pro Woche reduziert werden, um die Effekte aufrechtzuerhalten.


Sicherheit beim Training


Besonders Balance-Übungen fordern das Gleichgewicht heraus. Deshalb ist es wichtig, dass immer eine Möglichkeit zum Festhalten in der Nähe ist – zum Beispiel eine stabile Wand, ein Tisch oder ein Geländer.

 

Praktische Übungen


Die Wirksamkeit folgender Übungen wurde in mehreren Studien bestätigt und zielt auf eine Verbesserung von Gleichgewicht, Koordination und Kraft ab.

 

1. Gleichgewichtsübungen


  • Einbeinstand: Auf einem Bein stehen (10–30 Sekunden), dann die Seite wechseln. Falls nötig, an einer stabilen Oberfläche festhalten.

  • Tandemgang (Fersen-Zehen-Gang): In einer geraden Linie gehen, wobei ein Fuss direkt vor den anderen gesetzt wird.

  • Gewichtsverlagerung: Das Körpergewicht langsam von einem Fuss auf den anderen verlagern und dabei eine aufrechte Haltung bewahren.

  • Stehen auf instabilem Untergrund: Auf einem Balance-Pad oder einer Wackelplatte stehen, um die Stabilität herauszufordern.


2. Kräftigungsübungen


  • Aufstehen ohne Hände: Aus einem Stuhl aufstehen, ohne die Hände zu benutzen, dann langsam wieder hinsetzen.

  • Stufensteigen: Auf eine stabile Plattform oder eine Treppenstufe steigen und kontrolliert wieder hinabsteigen.

  • Fersen- und Zehenheben: Im Stehen die Fersen vom Boden heben (Wadenheben), dann die Zehen anheben. Stärkt die Fuss- und Sprunggelenkmuskulatur.

  • Mini-Kniebeugen: In eine leichte Kniebeuge gehen, dabei die Knie in Linie mit den Zehen halten.


3. Koordination & Reaktionsfähigkeit


  • Seitwärts-Schritte: Langsame Schritte zur Seite, dabei das Gleichgewicht halten.

  • Überkreuz-Schritte: Seitwärts Gehen, dabei einen Fuss über den anderen setzen, um die Koordination zu verbessern.

  • Ball fangen: Einen kleinen Ball gegen die Wand werfen und wieder auffangen, um die Reaktionszeit zu trainieren.


4. Dynamische Bewegungen


  • Knieheben im Stand: Abwechselnd die Knie heben, während der Oberkörper aufrecht bleibt.

  • Gehen mit Kopfdrehung: Beim Gehen den Kopf langsam von Seite zu Seite drehen (unterstützt die vestibuläre Funktion).

  • Hindernisparcours: Um Hütchen oder Objekte herumgehen, um die Beweglichkeit zu verbessern.


Diese Übungen basieren auf alltäglichen Bewegungen, stärken Kraft und Balance und tragen dazu bei, das Sturzrisiko nachhaltig zu reduzieren. Wer regelmässig trainiert, verbessert nicht nur seine Stabilität, sondern auch seine Sicherheit und Selbstständigkeit im Alltag.


Referenzen

1.          Tinetti ME, Speechley M, Ginter SF. Risk factors for falls among elderly persons living in the community. N Engl J Med. 1988 Dec 29;319(26):1701–7.

2.          Campbell AJ, Borrie MJ, Spears GF, Jackson SL, Brown JS, Fitzgerald JL. Circumstances and consequences of falls experienced by a community population 70 years and over during a prospective study. Age Ageing. 1990 Mar;19(2):136–41.

3.          Peel NM, Kassulke DJ, McClure RJ. Population based study of hospitalised fall related injuries in older people. Inj Prev. 2002 Dec;8(4):280–3.

4.          Burns ER, Stevens JA, Lee R. The direct costs of fatal and non-fatal falls among older adults - United States. J Safety Res. 2016 Sep;58:99–103.

5.          Yardley L, Smith H. A prospective study of the relationship between feared consequences of falling and avoidance of activity in community-living older people. Gerontologist. 2002 Feb;42(1):17–23.

6.          Stenhagen M, Ekström H, Nordell E, Elmståhl S. Accidental falls, health-related quality of life and life satisfaction: a prospective study of the general elderly population. Arch Gerontol Geriatr. 2014;58(1):95–100.

7.          Berg RL. Falls in Older Persons: Risk Factors and Prevention. In: The Second Fifty Years: Promoting Health and Preventing Disability [Internet]. National Academies Press (US); 1992 [cited 2025 Mar 7]. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK235613/

8.          Howe TE, Rochester L, Neil F, Skelton DA, Ballinger C. Exercise for improving balance in older people. Cochrane Database Syst Rev. 2011 Nov 9;2011(11):CD004963.

9.          Liu CJ, Latham NK. Progressive resistance strength training for improving physical function in older adults. Cochrane Database Syst Rev. 2009 Jul 8;2009(3):CD002759.

10.        Sherrington C, Fairhall NJ, Wallbank GK, Tiedemann A, Michaleff ZA, Howard K, et al. Exercise for preventing falls in older people living in the community. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Jan 31;1(1):CD012424.

11.        Guirguis-Blake JM, Perdue LA, Coppola EL, Bean SI. Interventions to Prevent Falls in Older Adults: Updated Evidence Report and Systematic Review for the US Preventive Services Task Force. JAMA. 2024 Jul 2;332(1):58–69.

12.        National Institute on Aging [Internet]. 2022 [cited 2025 Mar 7]. Falls and Fractures in Older Adults: Causes and Prevention. Available from: https://www.nia.nih.gov/health/falls-and-falls-prevention/falls-and-fractures-older-adults-causes-and-prevention


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