Kleine Schritte, grosse Ideen
- Jan Stutz, Dr. sc. ETH
- 10. Sept.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Sept.
Wie zehn Minuten Spazierengehen deine Kreativität messbar steigern – und wie du das im Alltag nutzen kannst.
«Alle wahrhaft grossen Gedanken kommen einem beim Gehen» (Friedrich Nietzsche).
Nenne in vier Minuten so viele alternative Anwendungen wie möglich für einen Reifen, oder einen Knopf. Das ist der sogenannte GAU-Test (Guilford's altemate uses test). Er wird in der Wissenschaft benutzt, um Kreativität und divergentes Denken zu messen. Also die Fähigkeit, neue, unvoreingenommene Ideen und unkonventionelle, aber adäquate, Lösungen zu generieren.
Wiederhole den Test nun, während du gehst. Auf wie viele alternative Anwendungen kommst du? Genau dieses Experiment wurde mit 48 Teilnehmenden an der Stanford University in den USA durchgeführt (1). Während des Gehens konnten die Teilnehmenden im Durchschnitt doppelt so viele alternative Anwendungen nennen wie zuvor im Sitzen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1. Kreativität (gemessen anhand der mittleren Anzahl neuer Einfälle) beim ruhigen Sitzen und beim Gehen. Grau: Sitzen, Hellblau: Gehen.
Kehre jetzt zu deinem Sitzplatz zurück und wiederhole den Test ein drittes Mal. Hält der Effekt an? In der Regel ja. Die Teilnehmenden der Studie mussten den Test unter vier Bedingungen durchführen: Sitzen und dann Gehen (wie vorhin beschrieben), Gehen und dann Sitzen (um zu prüfen, ob die gesteigerte Kreativität anhält), zweimal Sitzen (um zu prüfen, ob die gesteigerte Kreativität nicht einfach durch das Wiederholen des Testes zustande kommt) und zweimal Gehen (um zu schauen, ob sich die gesteigerte Kreativität mit einem zweiten Versuch weiter steigern lässt). Die Ergebnisse findest du in Abbildung 2.

Abbildung 2. Kreativität (gemessen anhand der mittleren Anzahl neuer Einfälle) unter verschiedenen Versuchsbedingungen. Grau: Sitzen, Hellblau: Gehen.
Die Daten lassen folgende Schlussfolgerungen zu:
Die gesteigerte Kreativität hält auch beim Sitzen NACH dem Gehen an (siehe Gehen → Sitzen in Abbildung 2).
Die gesteigerte Kreativität lässt sich auf das Gehen zurückführen, da Sitzen (→ Sitzen) keine Auswirkung zeigt.
Bereits ein Spaziergang genügt, um die Kreativität zu fördern, da Gehen → Gehen nicht zu einer weiteren Steigerung geführt hat.
Mit nur zehn Minuten Spazierengehen lässt sich die Kreativität also bereits spürbar, und messbar, steigern. Ich halte die Studie vor allem deshalb für bedeutsam, weil sich ihre Ergebnisse leicht in den Alltag integrieren lassen. Zwar haben frühere Untersuchungen gezeigt, dass beispielsweise 20–30 Minuten Joggen das divergente Denken fördern (2). Doch wer hat im Arbeitsalltag schon Zeit und Lust, eine halbe Stunde zu joggen?
Praktische Tipps
Wenn du eine Denkpause benötigst, gehe 10 Minuten spazieren.
Es spielt keine Rolle, ob das Gehen draussen oder drinnen stattfindet. In der Studie steigerten die Teilnehmenden ihre Kreativität in beiden Umgebungen gleichermassen.
Gehe spazieren, bevor Kreativität gefragt ist – zum Beispiel vor einem Brainstorming, einer Prüfung oder dem Verfassen eines Textes.
Fazit
Gehen steigert die Kreativität. Es ist dabei egal, ob man sich draussen oder auf einem Laufband bewegt – Gehen verbessert die Fähigkeit, neuartige und zugleich passende Ideen zu entwickeln. Dieser Effekt hält sogar an, wenn man sich anschliessend hinsetzt, um seine kreative Arbeit zu erledigen.
Referenzen
1. Oppezzo M, Schwartz DL. Give your ideas some legs: the positive effect of walking on creative thinking. J Exp Psychol Learn Mem Cogn. 2014 Jul;40(4):1142–52.
2. Gondola JC, Tuckman BW. Effects of a systematic program of exercise on selected measures of creativity. Perceptual and Motor Skills. 1985;60(1):53–4.
