Jeder Schritt zählt
- Jan Stutz, Dr. sc. ETH
- vor 6 Tagen
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Aktualisiert: vor 6 Tagen
Eine Viertelstunde pro Tag zu Fuss gehen ist wahrscheinlich das einfachste und effektivste, was man für die Gesundheit tun kann.
1953 markiert die Londoner Bus-Studie einen Wendepunkt in den Bewegungswissenschaften. Zum ersten Mal konnte man einen Zusammenhang zwischen mehr Bewegung und weniger koronarer Herzkrankheit (KHK) nachweisen. Die Studie war so einfach wie elegant: Tausende Busfahrer, die beruflich viel sitzen, und Kontrolleure, die sich viel bewegen, wurden auf KHK-Diagnosen hin verglichen. Die Daten zeigten, dass Kontrolleure weniger häufig und mildere Symptome als die Chauffeure aufwiesen (1). Die Autor:innnen der Studie führten den Befund auf das unterschiedliche Bewegungsverhalten zurück: Kontrolleure müssen z. B. in den Londoner Doppelstockbussen mehrmals pro Tag Treppen hoch- und herunterlaufen. Die Studie stellt einen Wendepunkt dar, da man bis dahin dachte, dass Bewegung sogar eine KHK verursachen könnte.
In den nächsten 75 Jahren wurde dieser Befund wiederholt bestätigt. Mittlerweile ist es den meisten bekannt, dass Bewegung vor koronaren Herzkrankheiten sowie dutzenden weiteren Krankheiten schützt oder therapeutisch wirkt (2). In meiner Bewegungsberatung und im Gespräch mit Bekannten kommt aber oft die Frage, wie viel Bewegung denn notwendig sei. Oft erwähne ich die Empfehlungen von Organisationen wie dem BAG (Bundesamt für Gesundheit) oder dem ACSM (American College of Sports Medicine): mindestens 150 Minuten pro Woche Ausdauer bei mittlerer Intensität oder 75 Minunten bei hoher Intensität und zweimal pro Woche Krafttraining aller grossen Muskelgruppen (3,4).
Diese Empfehlungen können aber falsche Reize setzen. Besonders die Wortwahl (mindestens 150 Minuten) suggeriert einen Schwellenwert, den es gar nicht gibt: Entweder ich jogge eine halbe Stunde an fünf Tagen pro Woche, oder es bringt gar nichts. Doch dem ist nicht so. Jede Bewegung zählt.
Folgende Daten aus grossen epidemiologischen Studien mit insgesamt Millionen von Teilnehmenden verdeutlichen die Botschaft (Abbildung 1).

Abbildung 1. Verhältnis Bewegungsverhalten zur Sterblichkeitsrate. Adaptiert aus Garcia et al. (5), Paluch et al. (6), Wen et al. (7) und Stamatakis et al. (8). Das relative Risiko gibt das Sterblichkeitsrisiko von aktiven zu inaktiven Personen an (definiert als 1). Ein Wert von 0,6 bedeutet z. B., dass das Risiko um 40 % geringer ist.
Alle vier Grafiken zeigen einen kurvilinearen Zusammenhang: Der grösste Nutzen für die Gesundheit wird erreicht, wenn man von einem inaktiven zu einem aktiven Lebensstil wechselt. Bereits kurze Bewegungseinheiten wie 15 Minuten zu Fuss pro Tag, wirken sich positiv auf die Gesundheit aus. Das entspricht der Hälfte der üblicherweise empfohlenen 30 Minuten.
Mehr Bewegung bringt zusätzliche Vorteile, allerdings mit abnehmendem Zusatznutzen. Das ist physiologisch unvermeidbar: Wäre der Zusammenhang linear, müssten sehr aktive Menschen theoretisch unsterblich sein. Die empfohlenen 150–300 Minuten pro Woche bei mittlerer Intensität (z. B. zügiges Gehen, lockeres Radfahren oder Schwimmen, Tanzen, Rasenmähen, Staubsaugen, Auto waschen) stellen daher für viele Menschen einen guten Kompromiss zwischen Zeitaufwand und Nutzen dar.
Die Daten zeigen auch, dass intensivere Einheiten doppelt zählen. 10 Minuten Joggen sind präventiv ähnlich wirksam wie 20 Minuten Gehen (7). Wenn dir Zeit fehlt, bevorzuge also intensivere Einheiten.
Fazit
Jede Bewegung zählt. Schon 15 Minuten zu Fuss pro Tag verbessern die Gesundheit. Mehr Bewegung und intensivere Einheiten bringen zusätzliche Vorteile.
Referenzen
1. Morris JN, Heady JA, Raffle PA, Roberts CG, Parks JW. Coronary heart-disease and physical activity of work. Lancet. 1953 Nov 21;262(6795):1053–7. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(53)90665-5
2. Pedersen BK, Saltin B. Exercise as medicine – evidence for prescribing exercise as therapy in 26 different chronic diseases. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports. 2015;25(S3):1–72. https://doi.org/10.1111/sms.12581
3. American College of Sports Medicine. ACSMs Guidelines for Exercise Testing and Prescription, 11th Edition [Internet]. [cited 2025 Feb 10]. Available from: https://shop.lww.com/ACSM-s-Guidelines-for-Exercise-Testing-and-Prescription/p/9781975150181
4. Bundesamt für Sport BASPO. Bewegungsempfehlungen Schweiz - Grundlagen. Magglingen: BASPO 2022.; 2022.
5. Garcia L, Pearce M, Abbas A, Mok A, Strain T, Ali S, et al. Non-occupational physical activity and risk of cardiovascular disease, cancer and mortality outcomes: a dose–response meta-analysis of large prospective studies. Br J Sports Med. 2023 Aug 1;57(15):979–89. https://doi.org/10.1136/bjsports-2022-105669
6. Paluch AE, Bajpai S, Bassett DR, Carnethon MR, Ekelund U, Evenson KR, et al. Daily steps and all-cause mortality: a meta-analysis of 15 international cohorts. The Lancet Public Health. 2022 Mar 1;7(3):e219–28. https://doi.org/10.1016/S2468-2667(21)00302-9
7. Wen CP, Wai JPM, Tsai MK, Yang YC, Cheng TYD, Lee MC, et al. Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study. The Lancet. 2011 Oct 1;378(9798):1244–53. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(11)60749-6
8. Stamatakis E, Ahmadi MN, Gill JMR, Thøgersen-Ntoumani C, Gibala MJ, Doherty A, et al. Association of wearable device-measured vigorous intermittent lifestyle physical activity with mortality. Nat Med. 2022 Dec;28(12):2521–9. https://doi.org/10.1038/s41591-022-02100-x
