Fitnesstracker – Lösungen auf der Suche nach einem Problem?
- Jan Stutz, Dr. sc. ETH
- 15. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juni
Herzfrequenzmessung als Beispiel: Warum das eigene Körpergefühl oft die bessere Orientierung für die Gesundheit ist.
In der Schweiz benutzen etwa 1,3 Millionen Menschen eine Fitness-App, 1,2 Millionen besitzen eine Smartwatch und fast eine halbe Million einen Fitness- oder Aktivitätstracker (1), mit steigender Tendenz. Diese Technologien werden oft zur freiwilligen Selbstüberwachung und Selbstoptimierung verwendet, beispielsweise um den Schlaf zu verbessern, den Stress zu reduzieren oder die Produktivität zu steigern. Doch verbessert das tatsächlich die Gesundheit?
Die aktuelle Datenlage spricht nicht wirklich dafür (2). Viele der vermeintlichen Belege für die Nutzung von Gesundheits-Trackern sind Einzelfallberichte. Auch wenn sie wertvolle Informationen liefern, können sie nicht als zuverlässige wissenschaftliche Belege betrachtet werden. Zu den wenigen belegten Vorteilen zählt etwa die Anwendung von Schrittzählern, um die körperliche Aktivität zu steigern (3).
Ob diese Veränderung aber nachhaltig ist, ist unbekannt. Etwa die Hälfte der Nutzer*innen gibt die Benutzung der Tracker nach einem Jahr wieder auf (4). Auch die psychischen Auswirkungen sind nicht immer positiv. So kann die ständige Selbstüberwachung des Blutzuckerspiegels bei Menschen mit Typ-2-Diabetes depressive Symptome verstärken – ohne dass sich die Blutzuckerregulation verbessert (5).
Marktlogik statt Gesundheitslogik
Lukas Pivek, Professor für Datenwissenschaft, argumentiert deshalb, dass viele Fitnesstracker und Gesundheits-Apps eine „Lösung auf der Suche nach einem Problem“ sind (2). Mit anderen Worten: Sie schaffen Bedürfnisse, anstatt sie zu befriedigen. Um das Engagement der Nutzer*innen zu erhöhen, setzen die Hersteller auf digitale Überzeugungstechniken und Strategien zur sozialen Beeinflussung. Beispiele hierfür sind die Gamification von Bewegung mittels Herausforderungen und Wettbewerben, das Teilen der Aktivitäten in den sozialen Medien oder positives Feedback in Form von virtuellen Belohnungen (2,4). All diese Strategien zielen nicht primär auf Gesundheit, sondern auf die Produktbindung.
Bei der Entwicklung dieser Technologien steht nicht nur die Messgenauigkeit im Zentrum. Für den Markterfolg spielen auch Design, Ästhetik, Benutzerfreundlichkeit, Haltbarkeit und Komfort eine wichtige Rolle (4). Ob dabei die Qualität tatsächlich oberste Priorität hat, ist fraglich.
Am Beispiel der Herzfrequenzmessung möchte ich im Folgenden aufzeigen, wo die Grenzen dieser Technologien liegen, und eine einfache, aber effektive Alternative vorstellen: die Wahrnehmung unserer eigenen Körperempfindungen.
Wie genau ist die Herzfrequenzmessung?
Fitnesstracker und Sportuhren messen die Herzfrequenz in der Regel mithilfe eines Herzfrequenzgurts oder eines optischen Sensors. Der Brustgurt nutzt Elektroden, um die elektrischen Signale des Herzens zu erfassen – ähnlich wie ein einfaches EKG. Der optische Sensor verwendet meist grünes Licht, um Veränderungen des Blutvolumens unter der Haut zu detektieren, die mit jedem Herzschlag auftreten. Wie genau sind diese Methoden?
Eine unabhängig finanzierte Studie kommt zum Schluss, dass die Messung am Handgelenk ungenau ist (6), besonders während körperlicher Aktivität. In dieser Studie wurden die Apple Watch, die Fitbit Charge HR, die Mio Fuse und die Basis Peak getestet. Als Vergleich diente die Messung mittels EKG. Alle Modelle wiesen grosse Ungenauigkeiten auf. Abbildung 1 zeigt als Beispiel die Ergebnisse der Apple Watch.

Abbildung 1. Messgenauigkeit der Apple Watch. Wäre die Messung genau, würden alle Punkte auf der Nulllinie liegen. Die gestrichelten Linien zeigen den Bereich an, in dem sich die meisten Werte befinden. In diesem Fall beträgt er ±30 Herzschläge pro Minute. Das bedeutet, dass, wenn die Uhr einen Puls von 100 Schlägen pro Minute anzeigt, der tatsächliche Wert irgendwo zwischen 70 und 130 Schlägen pro Minute liegen könnte. Diese Präzision ist unzureichend.
In einer weiteren Studie, in der die Apple Watch, die Garmin Forerunner 235, die TomTom Spark Cardio, die Fitbit Blaze und die Scosche Rhytm+ getestet wurden, wurden ähnlich grosse Ungenauigkeiten festgestellt (7).
Die Messung mit einem Herzfrequenzgurt ist hingegen präziser. In der erwähnten Studie wurde der Polar-H7-Herzfrequenzgurt getestet. Die Ungenauigkeit betrug ±10 Schläge pro Minute (6). In einer anderen Studie betrug er sogar nur ±3 Schläge pro Minute (7), was als gut bewertet werden kann.
Wenn aber selbst eine vermeintlich einfache Messung wie die Herzfrequenzmessung Probleme aufzeigt, wie verhält es sich dann mit den Phänomenen, für die sie als Marker dient?
Digitaler Reduktionismus von Komplexität
In der Trainingswissenschaft wird beispielsweise versucht, ein Übertraining mithilfe der Herzfrequenzvariabilität (HRV) zu erkennen. Fitnesstracker und Apps werben oft damit, dass sich mithilfe der HRV der Stresslevel messen lässt. Die HRV nutzt die Daten der Herzfrequenzmessung und beschreibt die Variation der Zeitintervalle zwischen zwei aufeinanderfolgenden Herzschlägen. Eine hohe HRV gilt dabei als Zeichen guter Erholung oder niedriger Stresslevel.
Doch komplexe Empfindungen wie Stress und Erholung entstehen aus einer Vielzahl von Faktoren – körperlich, psychisch und sozial (8) – und lassen sich nicht auf einzelne physiologische Parameter wie die Herzfrequenz reduzieren. Ausserdem ist die Messung selbst von externen wie internen Faktoren beeinflussbar, beispielsweise von der Atmung, Lärm oder Bewegung (9). Das Endergebnis? Neue Studien kommen zu dem Schluss, dass die Messung der HRV nicht geeignet ist, um Trainingsüberlastung oder Lebensstress zuverlässig zu erkennen (8,10–12).
Ähnlich verhält es sich mit der Schlafüberwachung oder der Bestimmung der Regenerationszeit. Eine unabhängige Studie kommt zu einem ähnlichen Fazit. Die Autor:innen schreiben, dass die Zuverlässigkeit und Gültigkeit tragbarer Geräte bedenklich sei (2). Welche Alternative ist dann besser?
Körperempfindungen als ganzheitlicher Ansatz
Unser Körper hat die bemerkenswerte Fähigkeit, sowohl Belastungen als auch Ressourcen zu verarbeiten und daraus ein stimmiges Gesamtbild unseres inneren Zustands zu formen. So zeigt eine Übersichtsarbeit, dass Gefühle und Wahrnehmungen besser geeignet sind als die Messung der HRV, um etwa Trainingsüberlastung zu erkennen (11) (Abbildung 2).

Abbildung 2. Veränderungen der Stimmung bei Athlet*innen, die in ein Übertraining geraten oder symptomfrei bleiben (d. h. „gesund”).
Das Gleiche gilt auch für andere Empfindungen. So kann die wahrgenommene Anstrengung nach einer Trainingseinheit die Beurteilung der Intensität mittels Herzfrequenz übertreffen (13). Die subjektive Schlafqualität steht stärker mit der mentalen und körperlichen Gesundheit in Verbindung als objektive Messungen wie die Schlafdauer oder die Einschlafzeit (14,15). Wie in diesem Artikel besprochen, ist es besser, nach Durstgefühl zu trinken als sich an offizielle Vorgaben zu halten.
Die Körperwahrnehmung kann auch zur Steuerung des Verhaltens eingesetzt werden. So kann eine Trainingssteuerung mittels Stimmungsskala effektiv sein, um Übertraining vorzubeugen. Dabei wird der Trainingsumfang bei erhöhter Anspannung oder dem Auftreten depressiver Verstimmungen verringert (16,17).
Unsere Körperempfindungen sind daher oft ein verlässlicherer Orientierungspunkt für gesundes Verhalten als die Daten von Apps, Uhren oder Armbändern. Warum verlassen wir uns dann so häufig auf diese?
Wenn Daten wichtiger werden als das eigene Empfinden
Fitnesstracker und Co. können einem das Gefühl von Kontrolle und Manipulierbarkeit vermitteln. Für manche kann das Messen, etwa der Schrittanzahl, die Motivation erhöhen, sich mehr zu bewegen. Andere wiederum mögen das „Spielen“ mit den Daten. Zudem sind gewisse Messungen genauer als unser Empfinden. Ich denke hier an die Messung von Geschwindigkeit oder Höhe/Distanz mittels GPS. Doch die übertriebene Selbstüberwachung birgt auch Risiken.
Wie Deborah Lupton in ihrem Buch „The Quantified Self“ beschreibt, kann das ständige Messen und Überwachen des eigenen Körpers zu einer Form der Selbstdisziplinierung führen. Dabei setzen sich Individuen selbst unter Druck, bestimmten Normen und Idealen zu entsprechen. Dies kann zu übertriebener Pathologisierung, Stress und Unzufriedenheit führen und die Autonomie des Einzelnen untergraben, da die Kontrolle über die gesammelten Daten häufig bei Unternehmen liegt. Langfristig kann dies zu einer Entfremdung vom eigenen Körper führen. Diese Entfremdung wird durch die Hersteller verstärkt, wenn sie uns weismachen wollen, dass wir unseren Gefühlen und Empfindungen nicht trauen können und uns stattdessen ihrer Technologie abhängig machen sollen.
Ich bin jedoch überzeugt, dass das genaue Gegenteil zutrifft: Unsere Empfindungen eignen sich besser, um komplexe Zustände wie Stress, Zufriedenheit, Schlaf, Erholung oder Intensität zu beurteilen. Trauen wir also den Daten oder doch lieber unserem eigenen Körpergefühl?
Fazit
Zwar bieten Fitnesstracker nützliche Funktionen, doch die Genauigkeit vieler Messungen ist fraglich und wird oft überschätzt. Unsere eigene Wahrnehmung ist hingegen unsere wahre Stärke. Die Abhängigkeit von externen Messwerten birgt das Risiko, die eigenen Empfindungen zu vernachlässigen. Oft ist es daher besser, auf die Signale unseres Körpers zu hören.
Referenzen