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Karbonlaufschuhe: Vorteile und Risiken

  • Jan Stutz, Dr. sc. ETH
  • 30. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Können die neuen Schuhe die Bestzeiten auf Halbmarathon- und Marathondistanzen tatsächlich um Minuten verbessern? Und wie gross ist das Verletzungsrisiko?


Ziellinie Marathon


Das Einsetzen von Karbonfaserplatten in die Zwischensohlen von Schuhen zur Steigerung der Laufleistung ist kein neues Konzept. Die ersten Studien zu diesem Thema wurden bereits in den späten 1990er-Jahren durchgeführt (1). Allerdings haben sie erst in jüngerer Zeit – insbesondere seit Eliud Kipchoges Marathon unter 2 Stunden im Herbst 2019 – breite Bekanntheit erlangt.


Der erste kommerziell erhältliche Laufschuh mit Karbonplatte war der Nike Zoom Vaporfly 4%, der im Jahr 2017 auf den Markt kam. Er integrierte eine Karbonfaserplatte in eine leichte und hochreaktive Schaumstoff-Zwischensohle. Mechanische Tests haben gezeigt, dass die neuen Schuhe mehr als doppelt so viel mechanische Energie zurückgeben können wie ein traditioneller Wettkampfschuh (2). Doch bedeutet das auch schnellere Laufzeiten bei Langstreckenwettkämpfen?



Führen Karbonlaufschuhe zu schnelleren Zeiten?


Eine der ersten Studien, die eine leistungssteigernde Wirkung der neuen Karbonlaufschuhe zeigen konnten, wurde im Jahr 2018 veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren verglichen einen Prototyp des Nike Zoom Vaporfly mit traditionellen Wettkampfschuhen (Nike Zoom Strike 6 und Adidas Adizero Adios Boost 2). Die Prototypschuhe senkten die Energiekosten des Laufens im Durchschnitt um 4 %. Dies soll sich in einer etwa 3.4-prozentigen Verbesserung der Laufgeschwindigkeit bei Marathon-Weltrekordtempo übersetzen (2). Für einen 2-Stunden-Marathon also 4 Minuten schneller. Aber stimmt das?


Dank GPS-Uhren und Strava konnten zwei Forscher für die New York Times die Daten von über 1 Million Marathon- und Halbmarathonläufen analysieren. Hobbyläuferinnen und -läufer, die den Vaporfly trugen, waren 2 bis 3 Prozent schneller als diejenigen, die den nächstschnellsten Schuh ohne Karbonplatte trugen (3). Stratifizierte Analysen bestätigen, dass die Verbesserung auf den Schuh zurückzuführen ist und nicht etwa darauf, dass schnelle Läuferinnen und Läufer häufiger den Vaporfly tragen. Die Schuhe schienen allen Läuferinnen und Läufern einen Vorteil zu verschaffen – unabhängig davon, ob sie Männer oder Frauen waren, schnell oder langsam (3). Eine neuere Analyse mit Eliteläuferinnen und -läufern zeigt hingegen eine 1- bis 2-prozentige Verbesserung der Marathonlaufzeiten (4). Jedoch ist in dieser Population das Verbesserungspotenzial wahrscheinlich geringer als bei Hobbysportlerinnen und -sportlern.


Aus diesen Daten scheint es angemessen zu behaupten, dass ein Wechsel auf Karbonlaufschuhe eine 1- bis 3-prozentige Verbesserung in der Marathonlaufzeit bewirken können. Auf einem 3-Stunden-Marathon bedeutet das eine 2- bis 5-minütige Verbesserung.



Nicht nur Nike


Seit der Einführung des Nike Zoom Vaporfly sind acht Jahre vergangen, und mittlerweile haben zahlreiche Schuhhersteller Karbonlaufschuhe in ihrem Sortiment. Auch Nike wirbt damit, dass ihr neuester Schuh erneut um X Prozent schneller sein soll als das Vorgängermodell – begründet durch noch effizientere Karbonplatten und Schaumstoff-Zwischensohlen. In einer Vergleichsstudie aus dem Jahr 2022 konnte aber keiner der getesteten Schuhe (Hoka Rocket X, Saucony Endorphin Pro, Nike Alphafly, Asics Metaspeed Sky, Nike Vaporfly Next% 2, New Balance RC Elite und Brooks Hyperion Elite 2) die 4-prozentige Verbesserung der 2018-Studie überbieten (5). Auch die New York Times Analyse hat keinen Unterschied zwischen dem Vaporfly und dem Next% ausmachen können (3). Die neueste Generation von Karbonlaufschuhe scheint deshalb, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht besser zu sein als die erste Generation.


Infobox: Studienfinanzierung

Die 2018 durchgeführte Studie wurde von Nike finanziert, während die Vergleichsstudie aus dem Jahr 2022 unabhängig ist. Bei der Analyse der New York Times ist hingegen unklar, ob die Autoren von Nike bezahlt wurden (in Studien, die in Fachzeitschriften veröffentlicht werden, müssen aus Transparenzgründen die Finanzierungsquellen offengelegt werden). Zumindest eine unabhängige Studie bestätigt also die leistungsverbessernden Eigenschaften von Karbonlaufschuhen.



Führen Karbonlaufschuhe zu mehr Verletzungen?


Geht diese Leistungsverbesserung auf Kosten einer erhöhten Verletzungsgefahr? In biomechanischen Studien sind Veränderungen im Laufstil beobachtbar. Läuferinnen und Läufer zeigen etwa eine verringerte Schrittfrequenz, längere Schritte sowie eine längere Flugphase (6). Höhere Bodenreaktionskräfte sowie Unterschiede in der Mechanik des Sprunggelenks wurden ebenfalls gemessen. In einer Studie wird von fünf Athletinnen und Athleten berichtet, die wahrscheinlich aufgrund von Karbonlaufschuhen eine Stressverletzung des Kahnbeins (einem kleinen Knochen im Fussgewölbe) erlitten haben (7).


Andererseits wird auch argumentiert, dass Laufschuhe mit integrierter, gebogener Karbonplatte die Verletzungsgefahr reduzieren könnten. Dies aufgrund einer Reduzierung des Spitzendrucks unter dem Vorfuss (8). Eine wissenschaftlich fundierte Aussage, ob Karbonlaufschuhe die Verletzungsgefahr beeinflussen, kann aber aufgrund von fehlenden Langzeitstudien zu diesem Zeitpunkt nicht gemacht werden.


Bis dahin gelten vermutlich die gleichen Empfehlungen wie für Laufschuhe ohne Karbonplatte. Die Wahl eines komfortablen Schuhs beim Laufen scheint von besonderer Bedeutung zu sein (9), sowie eine graduelle und langsame Anpassung (7), da der Körper Zeit benötigt, sich an die neuen Belastungen zu gewöhnen. Präventiv kann Krafttraining der Fussmuskulatur empfohlen werden, da es nachweislich das Verletzungsrisiko verringern kann (10). Wichtig ist auch, auf Schmerzen zu achten, frühzeitig vorzubeugen und bei Bedarf kurz zu pausieren, um zu verhindern, dass sich die Schmerzen zu einer langwierigen Verletzung entwickeln.



Fazit


Der Wechsel zu Karbonlaufschuhen kann die Laufzeit bei einem Marathon oder Halbmarathon um einige Minuten verbessern. Ob Karbonlaufschuhe die Verletzungsgefahr beeinflussen, kann aufgrund fehlender Langzeitstudien zum aktuellen Zeitpunkt nicht beurteilt werden.


Hinweis: Der Originalartikel wurde für das Schweizer Sportmagazin Fit for Life verfasst (www.fitforlife.ch).


Referenzen


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