Rumpftraining ohne Rumpfbeugen
- Jan Stutz, Dr. sc. ETH
- 16. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Sit-ups sind für ein wirksames Rumpftraining nicht nötig. Entdecke evidenzbasierte Ganzkörperübungen mit kurzen Videos für zu Hause – für mehr Stabilität und weniger Schmerzen.
Die Rumpfmuskulatur hält die Wirbelsäule am Becken stabil, ähnlich wie die Seile eines Segelboots den Mast sicher mit dem Rumpf verbinden (1). Und so wie ein steifer Mast die Kraft des Windes in Bewegung umsetzt, so überträgt der Rumpf Kräfte zwischen Armen und Beinen und ist damit zentral für Bewegung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Eine schwache Rumpfmuskulatur ist beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für Beinverletzungen verbunden (2,3), während Rumpfkrafttraining zur Verbesserung von Rückenschmerzen (4) und Gleichgewicht beiträgt (5).
Doch was versteht man eigentlich unter Rumpfmuskulatur, und wie lässt sie sich effektiv trainieren?
Rumpf: mehr als nur Bauchmuskeln
Obwohl nicht eindeutig definiert, wird der Rumpf meist als muskuläre Box beschrieben, die nach oben durch das Zwerchfell und nach unten durch den Beckenboden begrenzt ist (6). Innerhalb dieser Box liegen die oberflächlichen, längeren Muskeln, die vor allem für die Bewegung des Rumpfs zuständig sind. Zu den wichtigsten gehören der Rückenstrecker, der äussere schräge Bauchmuskel, der gerade Bauchmuskel und der quadratische Lendenmuskel. Gemeinsam beugen, strecken und neigen sie den Oberkörper relativ zum Becken (6).
Die tieferliegenden, kürzeren Muskeln sind vor allem für die Stabilität der Wirbelsäule und eine aufrechte Haltung verantwortlich. Von besonderer Bedeutung sind der quere Bauchmuskel, die kleinen Wirbelsäulenstabilisatoren (Multifidi, siehe Abbildung 1), der innere schräge Bauchmuskel, die tiefe autochthone Rückenmuskulatur (Muskeln, die einzelne Wirbel verbinden) sowie der Beckenboden (6).

Abbildung 1. Multifidus, ein tiefer Rumpfmuskel, der die Wirbelgelenke stabilisiert. Dieser Muskel spielt vermutlich eine wichtige Rolle bei Rückenschmerzen (7).
Auch die Hüftmuskulatur (etwa Hüftbeuger, Adduktoren und Abduktoren), obwohl meist nicht als primäre Rumpfmuskulatur bezeichnet, spielt bei der Stabilisierung des Beckens eine zentrale Rolle, vor allem beim Gehen und Laufen. Eine schwache Hüftmuskulatur steht zudem in Verbindung mit Rückenschmerzen (8).
Das Zusammenspiel dieser Muskeln bildet das Fundament für die Beweglichkeit und Stabilität von Becken und Wirbelsäule. Doch wie lassen sie sich am effektivsten trainieren? Eine umfassende Analyse von Studien, die die Aktivität dieser Muskeln während verschiedener Rumpfübungen gemessen und verglichen hat, kommt zu einem überraschenden Ergebnis:
Vor allem mehrgelenkige Ganzkörperübungen beanspruchen den Rumpf am stärksten (9). Traditionelle Übungen wie Crunches und Sit-ups dürfen also getrost weggelassen werden.
So geht es – die besten Rumpfübungen
Diese Übungsauswahl deckt die oberflächliche und tiefe Rumpfmuskulatur ab und bietet eine funktionelle Kombination aus statischer, dynamischer und unilateraler Belastung.
Für ein wirksames Rumpftraining fünf der folgenden acht Übungen auswählen. Jede Übung in zwei Durchgängen à 10 Wiederholungen oder 1 Minute Belastungszeit ausführen. Eine Variante wählen, bei der die Anstrengung auf einer Skala von 0 bis 10 etwa bei 7 bis 8 liegt.
Hinweise:
Auf saubere Technik achten – Qualität vor Quantität.
Das gesamte Training dauert rund 20 Minuten.
Zwischen den Übungen 30–60 Sek. Pause einlegen.
Die Auswahl der fünf Übungen regelmässig variieren, um Abwechslung zu schaffen.
Die letzte Übung (seitliches Beinheben) stärkt gezielt die oft vernachlässigten Abduktoren.
Plank und Variationen
Start im Unterarmstütz: Ellbogen schulterbreit unter den Schultern, Körper bildet eine gerade Linie von Kopf bis Fersen. Bauch- und Gesässmuskulatur anspannen, damit der Rücken stabil bleibt.
Einfacher: mit gestreckten Armen (Liegestützposition).
Schwerer: Ellbogen etwas weiter nach vorn schieben oder Beine abwechselnd anheben.
Besonders effektiv: Plank im Schlingentrainer (TRX-Plank) – die Füsse hängen in Schlingen, der Körper bleibt in einer stabilen Linie. Durch die instabile Aufhängung muss die Rumpfmuskulatur permanent ausgleichen.
Rumänisches Kreuzheben
Füsse hüftbreit aufstellen und in jeder Hand ein Gewicht (z. B. Wasserflaschen) oder ein Widerstandsband halten. Hüften langsam nach hinten beugen, Rücken gerade halten und die Gewichte entlang der Oberschenkel bis knapp unter die Knie senken. Gesäss- und hintere Oberschenkelmuskulatur anspannen, um wieder in die aufrechte Position zurückzukehren. Die Bewegung erfolgt aus der Hüfte, nicht aus dem Rücken.
Einfacher: leichteres Gewicht oder Band; nur so weit beugen, bis eine sanfte Dehnung spürbar ist.
Schwerer: einbeinig (ein Bein bleibt leicht nach hinten ausgestreckt) oder mit mehr Zusatzgewicht.
Erhöhter Ausfallschritt (Bulgarian Split Squat)
Aufrecht vor einer stabilen Erhöhung (z. B. Stuhl, Sofa oder niedrige Bank) stehen. Einen Fuss nach hinten auf die Erhöhung legen, der andere bleibt etwa eine gute Schrittlänge davor flach am Boden. Das hintere Knie langsam Richtung Boden senken, bis das vordere Knie etwa 90 Grad gebeugt ist. Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, Rumpf angespannt und der Blick nach vorn. Anschliessend über das vordere Bein wieder nach oben drücken.
Einfacher: kleinere Bewegungsamplitude.
Schwerer: Gewicht (z. B. Wasserflaschen oder Hanteln) in den Händen halten oder mit Sprung durchführen.
Besonders effektiv: Gewicht nur einseitig halten, sodass die Rumpfmuskulatur permanent ausgleichen muss.
Bird Dog
Ausgangsposition im Vierfüsslerstand: Hände unter den Schultern, Knie unter der Hüfte, Rücken gerade, Blick zum Boden gerichtet. Ein Bein nach hinten und den gegenüberliegenden Arm nach vorne strecken, bis eine gerade Linie von Hand bis Fuss entsteht. Bauch- und Gesässmuskulatur anspannen, um den Rumpf stabil zu halten. Kurz halten, dann Arm und Bein kontrolliert zurückführen und Seite wechseln.
Einfacher: nur das Bein oder nur den Arm heben.
Schwerer: In der Plank-Position diagonal Arm und Bein strecken
Vorgebeugtes Rudern
Hüftbreiter Stand, Knie leicht gebeugt, Oberkörper aus der Hüfte etwa 45 Grad nach vorne neigen, Rücken bleibt gerade. Gewicht (z. B. Wasserflaschen, Hanteln oder Widerstandsband) mit hängenden Armen halten. Anschliessend die Ellbogen dicht am Körper nach hinten führen, bis die Hände seitlich am Oberkörper sind. Schulterblätter zusammenziehen, kurz halten und kontrolliert absenken.
Einfacher: leichteres Gewicht oder kleinere Bewegungsamplitude.
Schwerer: schwereres Gewicht oder langsamere Ausführung.
Einarmiges Schulterdrücken
Aufrecht stehen, Gewicht (z. B. Hantel, Wasserflasche oder Widerstandsband) in einer Hand auf Schulterhöhe halten, Handfläche zeigt nach vorn. Das Gewicht langsam über den Kopf drücken, bis der Arm gestreckt ist. Rumpf stabil halten, ohne ins Hohlkreuz zu fallen. Anschliessend kontrolliert absenken.
Einfacher: leichteres Gewicht.
Schwerer: schwereres Gewicht oder Ausführung im Stehen mit instabiler Unterlage (z. B. auf einem Kissen).
Pallof Press
Seitlich zu einem fixierten Widerstandsband auf Brusthöhe aufstellen. Band mit beiden Händen vor der Brust halten, Arme leicht gebeugt. Hände langsam nach vorne drücken, bis die Arme gestreckt sind, dabei den Rumpf stabil gegen die Zugkraft halten. Kurz halten und kontrolliert zurückführen.
Einfacher: näher am Fixpunkt stehen oder leichteres Band verwenden.
Schwerer: weiter weg stehen.
Seitliches Beinheben
Seitlich auf den Boden legen, Unterarm stützt den Oberkörper, Beine gestreckt übereinander. Das obere Bein langsam anheben, bis eine deutliche Spannung an der Aussenseite der Hüfte spürbar ist, kurz halten und kontrolliert absenken. Rumpf stabil halten, ohne nach vorne oder hinten zu kippen.
Einfacher: ohne Zusatzgewicht.
Schwerer: mit Gewichtsmanschette am Bein oder mit Mini-Band oberhalb der Füsse
Fazit
Durch ihre stabilisierende und kraftübertragende Funktion ist die Rumpfmuskulatur essenziell für Bewegung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Crunches und Sit-ups sind für ein wirksames Rumpftraining nicht erforderlich.
Mehrgelenkige Ganzkörperübungen wie Planks, Kreuzheben, erhöhter Ausfallschritt (Bulgarian Split Squat), Bird Dog, vorgebeugtes Rudern und einarmiges Schulterdrücken aktivieren die oberflächlichen wie auch die tiefen Rumpfmuskeln besonders effektiv.
Referenzen
1. Weineck J. Sportanatomie. 18th ed. Balingen: Spitta GmbH; 2008. 396 p.
2. Willson JD, Dougherty CP, Ireland ML, Davis IM. Core Stability and Its Relationship to Lower Extremity Function and Injury. JAAOS - Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons. 2005 Sep;13(5):316.
3. Leetun DT, Ireland ML, Willson JD, Ballantyne BT, Davis IM. Core Stability Measures as Risk Factors for Lower Extremity Injury in Athletes. Medicine & Science in Sports & Exercise. 2004 Jun;36(6):926. https://doi.org/10.1249/01.MSS.0000128145.75199.C3
4. Smrcina Z, Woelfel S, Burcal C. A Systematic Review of the Effectiveness of Core Stability Exercises in Patients with Non-Specific Low Back Pain. Int J Sports Phys Ther. 2022;17(5):766–74. https://doi.org/10.26603/001c.37251
5. Barrio ED, Ramirez-Campillo R, Garcia de Alcaraz Serrano A, RaquelHernandez-García R. Effects of core training on dynamic balance stability: A systematic review and meta-analysis. J Sports Sci. 2022 Aug;40(16):1815–23. https://doi.org/10.1080/02640414.2022.2110203
6. Akuthota V, Ferreiro A, Moore T, Fredericson M. Core stability exercise principles. Curr Sports Med Rep. 2008 Feb;7(1):39–44. https://doi.org/10.1097/01.CSMR.0000308663.13278.69
7. Freeman MD, Woodham MA, Woodham AW. The role of the lumbar multifidus in chronic low back pain: a review. PM R. 2010 Feb;2(2):142–6; quiz 1 p following 167. https://doi.org/10.1016/j.pmrj.2009.11.006
8. Pizol GZ, Miyamoto GC, Cabral CMN. Hip biomechanics in patients with low back pain, what do we know? A systematic review. BMC Musculoskelet Disord. 2024 May 28;25(1):415. https://doi.org/10.1186/s12891-024-07463-5
9. Oliva-Lozano JM, Muyor JM. Core Muscle Activity during Physical Fitness Exercises: A Systematic Review. Int J Environ Res Public Health. 2020 Jun;17(12):4306. https://doi.org/10.3390/ijerph17124306
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